Samstag, 6. Januar 2018

Feature "Spiel frei"

"Belarus Free Theatre" ist ein ungewöhnliches Theater. Zwischen London und Minsk, zwischen Skype und einer Garage, zwischen Spiel und der Wirklichkeit im autoritären Staat. Der Regisseur ist nach England geflüchtet, die Schauspieler leben in Belarus. Sie treten auf den besten Bühnen weltweit. New York TheaterNew York Times und Vulture haben die Stücke von "Belarus Free Theater" für die besten im Jahr 2017 erklärt. Währenddessen müssen sie in ihrer Heimat im Underground agieren. Ich habe Schauspieler Maryna, Sergej und Anastasia in der Probe-Garage in Minsk und Regisseur Nicolai Khalesin in London getroffen. Am 8. Januar wird das Feature "Spiel frei" im SWR 2 ausgestrahlt.

So viel kann ich schon mal verraten: Das Stück "Ein Herr hatte einen sprechenden Spatz" ist eins der beeindruckendsten, bedrückendsten und leckersten Theaterstücken, das ich je gesehen habe. Am besten hört mal selber rein!

Das Stück "Ein Herr hatte einen sprechenden Spatz": Wer ist Gast? Wer ist Schauspieler?

Sonntag, 5. November 2017

Kampf und Flucht – ein Update

Am 6. November um 10.05 Uhr und 19.20 Uhr wird unser Feature auf SWR 2 wiederholt, für das Laura Döing und ich vor kurzem mit dem Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet worden sind.

Ein Rückblick 

Wir haben Kirill und Jonathan am 12. Oktober 2013 in Sankt Petersburg kennengelernt. Sie nahmen an einer Kundgebung zum internationalen Coming-out-Tag teil. Kirill und Jonathan küssten sich, während sie von den Polizisten abgeführt wurden. Dabei ist ein Foto entstanden, das um die Welt ging und der Ausgangspunkt für unsere Sendung wurde.

St. Petersburg, 12. Oktober 2013 

Am nächsten Tag trafen wir die beiden an einem geheimen Petersburger Treff für Schwule und Lesben. Kirill erzählte, dass er sich mit dem „Schwulenpropaganda“-Gesetz nicht abfinden möchte, dass er kein Mensch zweiter Klasse sei und dass er für seine Rechte kämpfen würde.

Ein Jahr später kam die Nachricht von Kirill: Er hat Russland verlassen und ist nach Deutschland geflohen. In Dortmund erzählte er uns, dass er sich in Petersburg nicht mehr sicher fühlte, nachdem Männer in Schwarz ihn auf offener Straße in ein Auto zerren wollten. Seiner Meinung nach waren das die Mitarbeiter von „Center E“, das die Funktion einer politischen Polizei hat.



Im November 2015 traf Laura Jonathan erneut in Sankt Petersburg. Er eröffnete eine Fotoausstellung zum Thema Homosexualität in einem Keller eines Wohnhauses. Die Ausstellung wurde von Wachmännern überwacht. Nachdem das Gesetz gegen die „Propaganda von Homosexualität“ verabschiedet wurde, wurde Jonathan mehrmals verprügelt.
St. Petersburg, November 2015, © Laura Döing



Im Februar 2016 spazierten wir mit Kirill durch die malerischen Gassen in Heimbach. Dort teilte er mit einem Eritreer ein Zimmer in der Unterkunft für Asylbewerber. Er wartete immer noch darauf, dass sein Asylstatus geklärt wird...

Heimbach. Februar 2016


Am 9. September 2017 sprach Kirill auf der Bühne bei der Verleihung des Felix-Rexhausen-Preises beim CSD in Dortmund. Wenige Tage darauf wurde er zu einem Gespräch in das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Bonn eingeladen. Dort wurde er zu seiner Einreise nach Deutschland befragt, um zu prüfen, ob gemäß der Dublin-Verordnung ein anderes Land für ihn zuständig ist. Vier Wochen später fand das zweite Interview beim Bundesamt statt, in dem es um seine persönliche Geschichte ging. Der BAMF-Mitarbeiter befragte Kirill zu seiner Sexualität, seinen Protestaktionen in Russland und seinen Plänen. Das Gespräch dauerte zweieinhalb Stunden. Am 25. Oktober 2017 erhielt er die erlösende Nachricht: Seinem Asylgesuch wurde stattgegeben. Kirill darf in Deutschland bleiben. Nun möchte er hier ein Masterstudium beginnen.



Im September 2017 hat Jonathan Russland verlassen. Er ist für ein halbes Jahr nach Vietnam gereist, um dort eine Bar zu eröffnen.

Mittwoch, 23. August 2017

In Trostenez wird gebaut

Der Wald von Blagowschina, 10 km von Minsk entfernt, ist einer der größten Schauplätze von Massenmorden in Osteuropa. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hier 150.000 Juden ermordet. Jahrzentelang war dies ein weißer Fleck auf der europäischer Geschichtskarte. An die Gräueltaten erinnerten nur ein bescheidener Gedenkstein und die Zettel mit den Namen der Ermordeten, die von ihren Nachfahren an die Bäume festgenagelt wurden.




Vor zwei Jahren wurde in der Nähe, auf dem Territorium des SS-Lagers im Dorf Maly Trostenez, eine Gedenkstätte eröffnet. Groß, pathetisch, ganz im Sinne der sowjetischen Erinnerungskultur, die hier jahrzehntelang herrschte. Darüber lief ein Radiofeature von mir im Deutschlandfunk.

Gedenkstätte in Maly Trostenez








Der Weg zum eigentlichen Erschießungsort war durch einen Erdwall versperrt. Zu Sowjetzeiten befand sich die größte Müllhalde von Minsk direkt in der Nähe. Der Architekt und Vorsitzende der jüdischen Gemeinden Leonid Lewin wollte in Blagowschina eine Gedenkstätte bauen, die Menschen nicht gleichgültig lassen sollte. 2013 schilderte er mir seinen Entwurf in einem Interview. Ich hatte das Gefühl, dass er selbst nicht wirklich daran glaubte, dass das  Projekt irgendwann realisiert würde. Wie schade, dass er inzwischen tot ist und nicht mehr sehen kann: Im August 2017 (mehr 70 Jahre nachdem die Verbrechen begangen wurden!) haben die Bauarbeiten in Blagowschina begonnen. Danke an die deutschen Bürger, die 1 Mio. Euro dafür gespendet haben. Ich hoffe, dass die Gedenkstätte fertiggestellt wird. Dass sie im Sinne von Leonid Lewin die Menschen tief berühren und ein würdiges Gedenken an die Ermordeten ermöglichen wird.

Bauarbeiten in Blagowschina, Stand 17.08.2017






Sonntag, 18. Juni 2017

Freundliche Übernahme, oder Wie die Russen ein deutsches Hotel in der Türkei erobern

Erdogan und Putin sind wieder Kumpels. Die Beziehungen zwischen Erdogan und Merkel sind schlechter denn je. Was bedeutet das für ein All-Inclusive-Hotel auf der türkischen Riviera?

„Heute ist ein schöner Tag. La la la la la...“ Mit diesem Lied beginnt jeder Morgen in unserem Hotel im türkischen Städtchen Okurcular. Das Animationsteam stellt sich an den Rand des großen Pools mit türkisfarbenem Wasser. Die sonnengebräunten Jungs in weißen T-Shirts strecken ihre Arme, machen die Fäuste und singen dabei: „Und ich flieg, flieg, flieg, wie ein Flieger, bin so stark, stark, stark wie ein Tiger...“ Die Gäste machen nach, aber singen nicht mit. Sie sprechen kein Deutsch, sondern Russisch.



Die Tafel im Wellness-Center sind auf Deutsch. Das einstündige Wohlfühl-Programm mit Hamam und Massage kostet 50 Euro. Der Manager im weißen Kittel erzählt, dass während im letzten Jahr circa 90 Prozente der Gäste im Hotel die Deutschen und nur 10 Prozent die Russen waren, ist es in diesem Jahr genau umgekehrt. Schuld daran seien seiner Meinung nach Frau Merkel, die sich mit Erdogan gestritten hat, und die Journalisten, die schlecht über die Türkei schreiben.

Der Türke vom Bodensee spricht akzentfreies Deutsch – und inzwischen ein paar Worte Russisch: „Pjat minut test massasch besplatno.“ Er bietet zwei Damen, die gerade ins Wellness-Center reingekommen sind, eine kostenlose fünf minütige Massage zur Probe an. „Wir kommen später“, sagen die Frauen auf Russisch und verschwinden. Das Geschäft läuft scheinbar nicht so gut. Die russischen Gäste wollen nicht so viel Geld ausgeben, auch wenn Präsident Putin behauptet, die Wirtschaftskrise sei vorbei. Hauptsache, er hat das Verbot aufgehoben, einen Urlaub in der Türkei zu machen. Nachdem Erdogan sich zähneknirschend für den Abschuss des russischen Bombers im November 2015 bei ihm entschuldigt hatte.

Single-mit-Kind-Index 

Über die Kaufkraft der Russen klagt auch der Kiosk-Besitzer im Hotel: „Sie kaufen im Unterschied zu den Deutschen sehr wenig.“ In Anlehnung an den weltberühmten Big-Mac-Index könnte man in unserem Hotel den Single-mit-Kind-Index einführen. Während ein Elternteil mit einem Kleinkind aus Deutschland für eine Woche Pauschalurlaub 700 Euro zahlt, bekommen Singles mit Kind aus Russland oder Belarus für die gleiche Summe 10 Tage All-Inclusive-Urlaub. Eine ukrainische Mutter mit Kind zahlt für eine Woche nur 450 (US-Dollar wohlbemerkt!).


Im Miniclub wurden zu Beginn dieser Saison neben einer deutschsprachigen Babysitterin auch eine russische Kollegin eingestellt. Die deutschen Mütter schielen auf die russischen Mütter, deren Kinder oft Zeichentrickfilme gucken. (Auf einem Tablet! Ohne Kopfhörer!! Beim Abendessen!!!) Die Russinnen lästern ihrerseits über die Deutschen, die im Beisein ihrer Kinder rauchen. (Sie kennen einfach den Preisunterschied für Zigaretten in Deutschland und der Türkei nicht).

Im Internet loben die Russen das Hotel für „die deutsche Ordnung und Organisation“. Unten den deutschen Bewertungen lese ich: „Das einzige Manko ist, dass die russischen Gäste sich echt oft laut und daneben benommen haben.“

Partystimmung auf Russisch

Vor der Abendshow bietet der Moderator zuerst die Deutschen zu klatschen, danach die Türken und die Russen. Ein Teil der Zuschauer hat bei keinem mitgeklatscht. Das sind Polen, Weißrussen und Ukrainer, die der türkische Moderator wohl in die Gruppe „Russen“ mit eingegliedert hat. Sie beschweren sich nicht. Auch Wortschlachten am Strand zwischen Russen und Ukrainern sind Geschichte. Nach drei Jahren Krieg sind die Ukrainer wohl zu müde. Und die Begeisterung der Russen über die „Wiedereingliederung“ der Krim hält sich inzwischen in Grenzen. Nur das ein oder andere Sankt-Georg-Bändchen, das am Koffer oder Kinderwagen angebunden ist, verrät die Einstellung seines Besitzers.

Nach der Abendshow geht die Party an der Pool-Bar weiter. Viele russische Gästen können der türkischen Gastfreundschaft nicht wiederstehen. Wie auch, wenn Alkohol bis zur späten Stunde kostenlos und reichlich vorhanden ist. Wenn in der Bar ein Schlager von Juri Schatunow aus den späten 80ern läuft. Der Tag in unserem Hotel beginnt auf Deutsch – und endet auf Russisch.