Sonntag, 9. September 2012

Geschäft mit Gefängnis

Bei meinem letzten Besuch in Moskau war ich zum ersten Mal in einem russischen Gefängnis. Das war die Untersuchungshaft Nr. 6 für Frauen („Pechatniki“). Dort hatte ich einen Interviewtermin mit Pjotr Wersilow, dem Ehemann von Nadeschda Tolokonnikowa von Pussy Riot. Er verspätete sich und ich hatte Zeit mich umzuschauen.
Ich stand in dem so genannten Annahmepunkt, wo Verwandte Pakete für die Inhaftierten abgeben oder sich für ein Treffen mit denen anmelden. Die Wände sind gelbgrün gestrichen. An der Wand hängen ein Plakat mit dem Logo der Partei „Einiges Russland“ und der Briefkasten „Für die Korruptionsbeschwerden“.

Im Raum waren viele Frauen. Sie packten die mitgebrachten Sachen in die Plastiktüten ein – Wurst, Brot, Tampons, Deo und Süßigkeiten. Sie gaben einander Tipps, welche Lebensmittel die Sicherheitskontrolle am besten überstehen. Die Lebkuchen werden mit dem Hammer zerschlagen, die Orangen werden in mehrere kleine Teile zerschnitten, erzählten sie. So überprüfen die Gefängnismitarbeiter, ob verbotene Sachen darin versteckt sind.

Wenn man die Lebensmittel direkt im Gefängnisshop bestellt, kommen sie unbeschädigt an“, sagt eine Frau. Deswegen die ganzen Bildschirme an der Wand! Im Online-Shop kann man alles Mögliche kaufen. Ein Schokoriegel kostet ab 1 Euro, eine Zigarettenstange je nach Marke zwischen 6 und 20 Euro, ein Kilo Orangen – 2,5 Euro. Lieferung inklusive. Man kann sogar eine warme Mahlzeit für den Inhaftierten bestellen. Ein Stück Fleisch mit Beilage kostet 4 Euro. Ein Shop im Gefängnis ist ein lukratives Geschäftsmodell: Keine Konkurrenz, flexible Preisgestaltung, garantierte Nachfrage.

Es gab noch viele andere Automaten im kleinen Annahmeraum des Gefängnisses – ein Kaffeeautomat, ein Bankautomat und sogar ein Automat, wo man sein Handy für 30 Rubel pro Stunde (80 Cent) aufladen kann.

Wersilow kam eine Stunde später. Er hat das Treffen mit seiner Ehefrau versäumt. Unser Interview fand trotzdem statt. Hier kann man das Ergebnis sehen (auf Russisch: "Петр Верзилов - между революцией и пиаром Pussy Riot").

P.S. Das Online-Shop der Moskauer Gefängnisse kann man auch online besuchen: www.sizomag.ru






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