Donnerstag, 2. Oktober 2014

Angekommen

Heute vor acht Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. In den ersten Tagen in Dortmund kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Ein U-Bahn-Ticket kostet zehn mal mehr als in St. Petersburg! Das Zimmer im Studentenwohnheim gehört mir alleine! Im Supermarkt ist kein "Brei" zu finden: Was essen denn die Deutschen zum Frühstuck? Waaaas, sonntags sind die Geschäfte ganz geschlossen?

Dortmund, Oktober 2006
Inzwischen bin ziemlich eingedeutscht. Ich gucke "Tatort" und koche Spargel. Ich werfe den Jogurt-Becher in die gelbe Tonne weg. In der Bahn setze ich mich nicht zu einem anderen Fahrgast dazu, sondern suche mir einen freien Doppelsitz.

Vor kurzem musste ich meine Integrationsfähigkeit unter Beweis stellen. Ich habe eine Niederlassungserlaubnis beantragt. Ausländische Absolventen deutscher Hochschulen dürfen sie bekommen, wenn sie mindestens zwei Jahre berufstätig sind. Eine Bedingung: Man soll „Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ nachweisen. Es wird ja Zeit - nach den knapp acht Jahren in Deutschland...

Ich bin zu einem Gespräch in die Ausländerbehörde eingeladen. Vor dem Termin lasse ich mich von meinen deutschen Freunden in puncto Deutschsein beraten. Der erste Ratschlag lautet: Bei der Begrüßung soll ich dem Sachbearbeiter festen Handschlag geben und mitteilen, dass ich zum Mittag Eisbein mit Sauerkraut gegessen habe. Als nächstes sollte ich übers Wetter meckern. "Meckern, egal über was, ist typisch deutsch“, heißt es. Klingt nicht so schwer.

Deutscher Spargel a-la Belarus: Mit Bratkartoffeln.
Bei der Ausländerbehörde ist es wie beim Zahnarzt: Man geht nicht gerne hin. Wer mag es schon, wenn ein Herr Müller, der in der Erzählung "Der Kummer des Beamten Müller" von Rafik Schami treffend beschrieben ist, über sein Schicksal entscheidet? Doch in der Kölner Ausländerbehörde bin ich positiv überrascht. Der Mitarbeiter begrüßt mich freundlich und gibt mir die Hand. „Sie sollen einen Test schreiben, um die Kenntnisse der Lebensverhältnisse in Deutschland nachzuweisen“, sagt er.

Von dieser Prüfung habe ich bereits gehört: Da sind mehr als 300 Fragen und einen Termin bekommt man erst in mehreren Wochen. Ich möchte mir den Aufwand sparen und hole eine dicke Mappe aus der Tasche heraus. Darin sind alle Zeugnisse, Bescheinigungen und Urkunden abgeheftet, die ich in den acht Jahren gesammelt habe. Ich zeige dem Sachbearbeiter das Zeugnis über die Teilnahme an der Vorlesung "Politisches System der BRD", den Schein in "Landeskunde" und Nachweise über mehrere Stipendien. Der Beamte ist unbeeindruckt: "Haben sie Germanistik studiert? Ausnahmen sind aber nur für die Politikwissenschaftler möglich."

Nach einer kurzen Diskussion schickt er mich vor die Tür, um mit seinem Vorgesetzten zu beraten. Dann bietet er mich wieder herein. Er hält meine dicke Mappe in der Hand und schaut mich ernsthaft an, als ob er sagen möchte: „Ich habe heute leider kein Foto für dich.“ Doch dann lächelt er auf einmal und sagt: "Gut, wenn alle sich einig sind und mal auch über das Gesetz hinweg eine Entscheidung treffen."

Das heißt, ich bin ohne die schriftliche Prüfung für integriert genug befunden worden. Ich bekomme eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis! "Aber nur weil Sie Ihre Unterlagen so ordentlich abgeheftet haben!" sagt der Beamte und wünscht mir einen schönen Tag. „Ihnen auch. Trotz des schlimmen Regens“, meckere ich zum Schluss.

1 Kommentar:

  1. Sehr schön :-D Immer alles fein abheften! Auch irgendwie wieder deutsch, dass zwar Politologen die Prüfung nicht machen müssen, aber Leute, die Vorlesungn in Politologie besucht haben, schon.
    Trotzdem herzlichen Glückwunsch zur Niederlassungserlaubnis!

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