Dienstag, 13. Januar 2015

Zwischen Weihnachtstisch und Wechselstube

"Wechselt bloß kein Geld in einer Wechselstube", ist eine der ersten Phrasen, die wir Ende Dezember nach der Ankunft in Minsk hören. Devisen sind viel zu begehrt, um sie an den Staat abzugeben. Menschen stehen Schlange in den Banken, um US-Dollar oder Euro zu kaufen. Sie sind bewehrte Anker in den Krisenzeiten. Die krisenerprobten Belarussen wissen: Bald geht es abwärts. Die schwächelnde Wirtschaft in Russland wird die von ihr abhängige belarussische Wirtschaft nach sich ziehen.
Autokauf in Russland 

Um sein Erspartes nicht zu verlieren, entscheidet sich Andrej (Name geändert), ein Auto zu kaufen. Er hat gehört, dass die PKWs in Russland wegen der Rubel-Abwertung viel günstiger geworden sind als in Belarus. Der Angestellte einer staatlichen Sicherheitsfirma besorgt ein Zugticket und fährt nach Moskau. Dort stellt er fest, dass die im Internet angekündigten Preise in den Autohäusern nicht mehr gelten: Sie wurden wegen der starken Nachfrage aus dem Nachbarland erhöht. Andrej kauft eine Zeitung und findet dort ein paar interessante Privatanzeigen. Der Verkäufer des fast neuen Peugeot 408 will umgerechnet knapp 12 000 Dollar dafür haben. Die Summe soll in den russischen Rubeln ausgezahlt werden: Im Unterschied zu Belarussen haben die Russen den Glauben an ihre nationale Währung trotz derer Abwertung (noch) nicht verloren.

Während Andrej in der Schlange vor der Wechselstube wartet, geht die Jahrespresskonferenz von Putin im Fernsehen zu Ende. Plötzlich ändern sich die Zahlen auf dem elektronischen Tableau: Der Rubelkurs steigt leicht an. „Ich rechne im Kopf nach, dass ich auf der Stelle um die 500 Dollar verliere“, sagt Andrej. „Hätte Putin bloß ein wenig länger geredet!“ ärgert er sich. Grundsätzlich ist er aber zufrieden, dass er sein Geld gut angelegt hat.

Der Wechselkurs DLR/EUR um den Jahreswechsel in Belarus. Quelle: tut.by
Haushaltsgeräte als Investition

Glück hatte auch meine Freundin Alesja. Im Dezember bekommt sie die einmalige Prämie für die Geburt ihres Sohns – umgerechnet ca. 1000 Euro (nach dem Wechselkurs von damals). Die junge Mutter entscheidet sich, das Geld in die Haushaltsgeräte zu investieren. Sie bestellt einen Backofen und eine Spülmaschine in einem Online-Shop. Am nächsten Tag erlebt sie Schock. „Die Preise haben sich verdoppelt!“ Der Bestellvorgang ist zwar bereits abgewickelt, aber das Geld ist noch nicht überwiesen. Alesja ruft im Laden an. Zum Glück bleiben die Konditionen für ihren Kauf unverändert. "Ich habe mich auf die versprochene kostenlose Lieferung verzichtet und bin schnell losgefahren, um meine Geräte abzuholen!" erzählt sie. So wie Alesja kaufen viele Belarussen  neue Haushaltsgeräte auf Vorrat: Vor Silvester und Weihnachten sind Regale in den Elektronik-Märkten leer.
Menschen stehen Schlange vor der Wechselstube in einem Geschäft in Minsk
Auf dem Tisch stehen typischer Silvester-Salat Olivier und Schnittchen mit rotem Kaviar. Wir stoßen auf das neue Jahr. "2015 wird ein schwieriges Jahr", sagt Artjom. Warum? Vor den Präsidentenwahlen werden doch immer Geschenke verteilt, erwidere ich. "Ja, das Geld wird von uns genommen und an die Rentner gegeben", sagt der junge Unternehmer aus Minsk. Seine Frau meint, dass Lukaschenko sowieso gewinnen wird. "Besonders jetzt, mit dem Blick auf die Ukraine werden viele ihn wählen", sagt Julia. Irgendwie habe Lukaschenko recht, fügt sie hinzu: "Hauptsache, es gibt keinen Krieg." Das ist wohl die Formel, die Mentalität meiner Landsleute am besten beschreibt. "Aby ne bylo vajny."

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