Samstag, 9. November 2013

Unterwegs in Russland (2): Sibirien ist vorn

Eigentlich habe ich mit Sibirien nichts am Hut. Abgesehen davon, dass eine französische Freundin aus Köln glaubte, dass ich von dort herkomme, weil sie das deutsche Wort Weißrussland als „weißes, verschneites Russland“ gedeutet hat. Meine Vorstellung von Sibirien ging aber auch nicht weit über die gängigen Stereotypen hinaus: Kälte, Schnee, Bären, Bodenschätze, Rückstand. Von wegen!

Am sauberen und frisch renovierten Bahnhof von Krasnojarsk ticken die Uhren anders. An den Anzeigetafeln gibt es zwei verschiedene Uhrzeiten: Die von Moskau und die von Krasnojarsk, 5 Stunden Unterschied. Zwar müssen Sibirer immer Rücksicht auf die mächtige Hauptstadt nehmen, doch die Zeit ist nicht das Einzige, wo sie dem europäischen Teil Russlands weit voraus sind.


Das fängt bereits im Hostel an. Im Unterschied zur Abstellkammer ohne Fenster und Lüftung, in der wir in Moskau untergebracht wurden, hat das Hostelzimmer in Krasnojarsk hohe Decken, viel Platz und einen Balkon. Kreativ eingerichteter Gemeinschaftsraum, Waschmaschine und nette Mitarbeiter – das alles gibt es hier zu einem deutlich niedrigeren Preis als in Moskau.


Krasnojarsk ist gut organisiert. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind günstig und pünktlich. Die Straßen sind renoviert. Zwar leben hier mehr als 1 Million Menschen, aber sie wirken bei weitem nicht so gestresst wie die Bewohner von Moskau oder St. Petersburg. Scheinbar machen der Frost und die Kälte Menschen zielstrebiger und effizienter, indem sie nicht zu viel Energie mit unnützem Kram verlieren und sich aufs Wesentliche konzentrieren.

Renovierungsarbeitn auf einer Straße in Krasnojarsk

Krasnojarsk ist eine bunte Mischung. Auf den Straßen, die „Dekabristow“, „Lenina“ oder „Diktatury Proletariata“ heißen, befinden sich teure Boutiquen der westlichen Marken. Aus den Lautsprechern an den Laternen auf der Karl-Marx-Straße ertönt Jazz. In einer Bäckerei liegen neben den heimischen Spezialitäten wie Faulbeerentorte auch Eclaiers und Donuts. Hier gibt es einen eigenen Big Ben, einen Roten Platz und eine Arc der Triumf.
Der Big Ben von Krasnojarsk
Krasnojarsk ist auch politisch ganz vorn. Wusstet ihr, dass die Regierungspartei „Einiges Russland“ hier seit den letzten Wahlen in der Minderheit ist? Ein Abgeordneter des Stadtrates traut sich solch einen Satz: „Rosatom hat hier nichts zu sagen.“ Er möchte durch eine öffentliche Anhörung den Bau des ersten russischen Atommülllagers bei Krasnojarsk verhindern. Ich würde mich nicht wundern, wenn es klappt. Immerhin haben die Krasnojarsker die Errichtung eines schädlichen Ferrolegierungswerks, für das Moskau ein Regierungsprogramm verabschiedet hat, mit den Großdemos und Petizionen gestoppt. Die Stadtbewohner sind halt ziemlich sensibel, was die Umwelt angeht. Wegen vieler Industriebetriebe gehört Krasnojarsk zu den schmutzigsten Städten Russlands. Wobei die Natur dort ganz schön ist.

Das Gebirge "Stolby" (Pfähle) in Krasnojarsk ist beliebt bei den Touristen
Na gut, sagt ihr, Krasnojarsk ist eine Metropole und kann nicht für ganz Sibirien stehen. Das stimmt. Die nächstgelegene Stadt Irkutsk (1000 Kilometer sind für sibirische Verhältnisse quasi nix) hat bei mir einen ganz anderen Eindruck hinterlassen. Vorsichtig formuliert: Sie scheint etwas düster und nicht besonders innovativ. Aber Irkutsk hat den Baikalsee vor der Tür, der den grau wirkenden Alltag mit Zinsen kompensiert. Das ist aber eine ganz andere Geschichte, die ich euch später mal erzähle…

Die Süßigkeiten von Krasnojarsk (Foto: Laura Döeing)

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