Neulich bin ich auf eine Umfrage des russischen Meinungsforschungsinstituts WZIOM gestoßen, die Stoff zum Nachdenken liefert. Sie besagt, dass Russen sich vermehrt vor Überfremdung fürchten. Auf die Frage, wovor sie am meisten Angst haben, antworteten die meisten Befragten (35 Prozent): Davor, dass andere Nationalitäten Russland besiedeln. Da muss ich meine Eindrücke von der Reise nach Belarus und Russland vor zwei Wochen auspacken.
Ein Smalltalk auf einer Hochzeitsparty in St. Petersburg. Ein Mann – Mitte zwanzig, weißes Hemd, schwarze Fliege – sitzt am Tisch mir gegenüber. Als er erfährt, dass ich in Deutschland lebe, sagt er: „Ich möchte auswandern. Deutschland war auch eine Option, aber ich habe mich doch für Schweden entschieden.“ Warum? „In Deutschland gibt es zu viele Araber und Türken“, sagt mein Gegenüber und nippt gelassen am Sekt. „In Schweden dagegen gibt es viele Inder, die sind ruhig.“ Ich verschlucke mich an der Hochzeitstorte. Ich versuche mir vorzustellen, dass auf einer deutschen Party jemand etwas Ähnliches sagt. Das klappt nicht. Auf meine Anmerkung, dass es in Deutschland auch viele Russen gibt, zuckt der Fliegenträger mit den Schultern.
Eine Geburtstagparty in Minsk. „Party“ ist eigentlich ein falsches Wort. Man sitzt an einem improvisierten Tisch, trinkt Bier, isst „Buterbrody“ und quatscht über dies und das. Auf einmal spricht eine Frau – Mitte 30, Mutter einer Tochter - das Thema Juvenale Justiz an. „In Skandinavien wollen sie jetzt Märchen schreiben, in denen es nicht um Mann und Frau, sondern um zwei Männer oder zwei Frauen geht. Solch ein Absurd!“ sagt sie aufgeregt. Die Schwulen können doch machen, was sie möchten, aber ihre Ansichten unseren Kindern aufzwingen, das geht nicht, meint sie. Die Worte finden Zuspruch in der netten Runde: Die Kinder sollen von der „Schwulenpropaganda“ geschützt werden. Ich überlege, wie lange Belarus noch ohne das „russische“ Schwulengesetzt auskommt – und schweige.
Wer denkt, dass dieser latente Fremdenhass nur bestimmte Bevölkerungsschichten betrifft, irrt sich. Er umfasst fast alle Alters- oder Sozialgruppen. Frühstück am Tag des Abflugs in der Petersburger Wohnung meines Onkels. Er ist Unternehmer und vertritt normalerweise liberale Ansichten. Der Fernseher in der Küche läuft. Die Queen Elisabeth hat die Homo-Ehe erlaubt, heißt es in den Nachrichten. „Sind sie da in Europa alle verrückt? Ich hoffe, Frau Merkel ist da anständiger“, fragt mich mein Onkel. Ich zucke mit den Schultern.
P. S. Nach der Veröffentlichung dieses Posts wurde ich gefragt, warum ich mit meinen Freunden und Verwandten nicht über Fremdenhass diskutiere, sondern das einfach hinnehme. Diese Frage habe ich mir nach meiner Rückkehr nach Deutschland auch gestellt. Erstens fand ich die Umstände (Feier, Flug) unpassend. Zweitens weiß ich aus der Erfahrung, dass die Gespräche über politische Themen mit meinen Familienangehörigen leider nichts Gutes bringen. Drittens denke ich nicht, dass meine Worte die Meinung (vor allem: die Mentalität) der Menschen dort ändern würden. Aber ehrlich gesagt sind all diese Gründe nur Käse. Deswegen werde ich beim nächsten Mal, wenn so eine Situation vorkommt, nicht mehr schweigen.
Ein Smalltalk auf einer Hochzeitsparty in St. Petersburg. Ein Mann – Mitte zwanzig, weißes Hemd, schwarze Fliege – sitzt am Tisch mir gegenüber. Als er erfährt, dass ich in Deutschland lebe, sagt er: „Ich möchte auswandern. Deutschland war auch eine Option, aber ich habe mich doch für Schweden entschieden.“ Warum? „In Deutschland gibt es zu viele Araber und Türken“, sagt mein Gegenüber und nippt gelassen am Sekt. „In Schweden dagegen gibt es viele Inder, die sind ruhig.“ Ich verschlucke mich an der Hochzeitstorte. Ich versuche mir vorzustellen, dass auf einer deutschen Party jemand etwas Ähnliches sagt. Das klappt nicht. Auf meine Anmerkung, dass es in Deutschland auch viele Russen gibt, zuckt der Fliegenträger mit den Schultern.
Eine Geburtstagparty in Minsk. „Party“ ist eigentlich ein falsches Wort. Man sitzt an einem improvisierten Tisch, trinkt Bier, isst „Buterbrody“ und quatscht über dies und das. Auf einmal spricht eine Frau – Mitte 30, Mutter einer Tochter - das Thema Juvenale Justiz an. „In Skandinavien wollen sie jetzt Märchen schreiben, in denen es nicht um Mann und Frau, sondern um zwei Männer oder zwei Frauen geht. Solch ein Absurd!“ sagt sie aufgeregt. Die Schwulen können doch machen, was sie möchten, aber ihre Ansichten unseren Kindern aufzwingen, das geht nicht, meint sie. Die Worte finden Zuspruch in der netten Runde: Die Kinder sollen von der „Schwulenpropaganda“ geschützt werden. Ich überlege, wie lange Belarus noch ohne das „russische“ Schwulengesetzt auskommt – und schweige.
Wer denkt, dass dieser latente Fremdenhass nur bestimmte Bevölkerungsschichten betrifft, irrt sich. Er umfasst fast alle Alters- oder Sozialgruppen. Frühstück am Tag des Abflugs in der Petersburger Wohnung meines Onkels. Er ist Unternehmer und vertritt normalerweise liberale Ansichten. Der Fernseher in der Küche läuft. Die Queen Elisabeth hat die Homo-Ehe erlaubt, heißt es in den Nachrichten. „Sind sie da in Europa alle verrückt? Ich hoffe, Frau Merkel ist da anständiger“, fragt mich mein Onkel. Ich zucke mit den Schultern.
P. S. Nach der Veröffentlichung dieses Posts wurde ich gefragt, warum ich mit meinen Freunden und Verwandten nicht über Fremdenhass diskutiere, sondern das einfach hinnehme. Diese Frage habe ich mir nach meiner Rückkehr nach Deutschland auch gestellt. Erstens fand ich die Umstände (Feier, Flug) unpassend. Zweitens weiß ich aus der Erfahrung, dass die Gespräche über politische Themen mit meinen Familienangehörigen leider nichts Gutes bringen. Drittens denke ich nicht, dass meine Worte die Meinung (vor allem: die Mentalität) der Menschen dort ändern würden. Aber ehrlich gesagt sind all diese Gründe nur Käse. Deswegen werde ich beim nächsten Mal, wenn so eine Situation vorkommt, nicht mehr schweigen.
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