Freitag, 27. Dezember 2013

Unterwegs in Russland (4): Ein Tag am Baikalsee

Die schönsten Dinge im Leben sind spontan. So wie unser Ausflug zum Baikalsee. Als wir an einem Samstag im Oktober erfahren, dass die Baikal-Ringbahn entlang des Sees fährt, ist es bereits zu spät, sich dafür anzumelden. Aber es wäre doch so schade, die Möglichkeit zu verpassen, wo wir gerade in der Region sind und am nächsten Tag die nächste Fahrt mit der Ringbahn bevorsteht…

Also packen wir am Sonntagmorgen ein paar Kekse ein und machen uns auf den Weg zum Treffpunkt der Reisegruppe. Sie soll sich laut der Website um 8.15 Uhr vor einem Theater in Irkutsk versammeln. Die Menschen, die sich für den Ausflug angemeldet haben, sitzen bereits im Bus. Zum Glück gibt es ein paar freie Plätze und das Problem lässt sich auf eine unkomplizierte Art und Weise lösen. (Jeder, der schon mal in Russland war, weiß wie).

Der Bus fährt eine Stunde lang zum Hafen Listwjanka. Am Ufer stehen ein paar protzige Hotels und Cafés, die genauso gut zur Landschaft passen wie Bär zum Ballett. Der erste Eindruck vom Baikalsee: tiefblau, groß, aber irgendwie nichts Außergewöhnliches. Viel mehr beschäftigt mich die alte rostige Fähre, die uns auf die andere Seite des Sees bringen soll. Ich frage mich, wie stark der alte Trog den tiefsten See der Erde verschmutzt. Auch das Schild „Fahrer, lass die Passagiere aussteigen“ macht mich etwas nervös.





Etwa 20 Minuten später legt das Schiff am Hafen Baikal an.
Dort wartet bereits der Zug in Farben der russischen Trikolore auf uns. Wir haben etwa eine halbe Stunde vor der Abreise. Zeit, sich umzuschauen. Obwohl die Station frisch restauriert ist, wirkt der Ort ziemlich verlassen. Neben den wenigen Häusern gibt es kaum Menschen. An der Tür des Souvenir-Ladens hängt ein dickes Schloss.
Im Hafen Baikal


Der Zug fuhr früher auf den Schienen von Krugobajkalka. Heute ist es ein Museumsgegenstand unter freiem Himmel.

Das ist unser Zug. Er besteht nur aus einem Waggon.
Draußen ist es winterlich kalt. Im Zug ist es sehr warm. Die Menschen ziehen ihre Jacken, ihre Pullis aus. Wenige Minuten nach der Abfahrt läuft die Schaffnerin durch den Wagen, bietet Tee und Kaffee, geräucherten Fisch und Eis an. Der Fernseher zeigt Bilder vom Baikalsee. Wozu nur, denn man braucht nur aus dem Fenster zu schauen, da ist schon der echte See. Er scheint unendlich. Während der Fahrt bleibt er die ganze Zeit zu sehen.

Der erste Halt während der Fahrt
Das Wasser vom Baikalsee - durchsichtig, kalt, lecker. 
Die Schienen der Ringbahn waren mal ein Teil der Transsib-Strecke. Die transsibirische Eisenbahn wird als Stahlgürtel Russlands bezeichnet. Die Baikal-Ringbahn ist seine goldene Gürtelschnalle. Das war damals die teuerste Eisenbahnstrecke weltweit. Auf der 80 Kilometer langen Bahnlinie wurden Dutzende Tunnels, Viadukte, Brücken und Stützmauern gebaut. Der Zug hält an, wir schauen uns die interessantesten Stellen an und erfahren von unserem Guide ihre Geschichten.

Eine Nachbildung der Bauarbeiten im Ringbahn-Museum im Hafen Baikal

Die italienische Stützmauer wurde von den Gastarbeitern von den Alpen gebaut.





Der Zar Alexander III. hilt Italiener für die besten Baumeister, denn sie sammelten ihre Erfahrungen in den Alpen. Er schickte seine Agenten nach Italien, damit sie die besten Meisten nach Russland locken. Mehr als 50 italienische Ingenieure bewarben sich. 28 Menschen wurden eingeladen.

Ihre Reise aus Italien nach Ost-Sibirien dauerte zwei bis drei Monate. Vor Ort wohnten sie in schäbigen Barracken, litten unter Frost, Heimweh und Skorbut. Wozu? Es lohnte sich: Am Tag verdienten sie 6-7 Rubel, während ein russischer Bauarbeiter 1-2 Rubel pro Tag bekam. Eine Kuh kostete damals 2 Rubel. Die meisten Italiener kehrten später in ihre Heimat zurück, um ein Geschäft zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen. Manche blieben. Wie zum Beispiel Antonio Donatello aus Neapel. 1910 eröffnete er das erste Kino in Irkutsk und ging somit für immer in die Geschichte der Stadt ein. Das kleine Programmkino "Don Otello" gibt es immer noch.



Der nächste Halt ist am Ort Polowinnyj. "Das Dorf ist mittelgroß", - teilt uns der Reisebegleiter mit. "Hier leben 9 Menschen." Es ist die längste Pause während der Reise. Wir bleiben 1,5 Stunden in Polowinnyj und haben Zeit, um Mittag zu essen.

Zwei von neun Einwohnern von Polowinnyj

In den Häusern gibt es kein Fließ-, geschweige denn Heißwasser. Dafür gibt es in jeder Hütte Satellitenfernsehen.

Dorfbewohnerin Galina Pawlonwa bietet Touristen warme Mahlzeiten an.  Diese Arbeit bereitet ihr viele Stress, aber auch viel Freude - und bringt ein gutes Nebeneinkommen. "Im Sommer essen bei mir bis zu 60 Touristen pro Tag. Ein deutsches Fernsehteam hat schon eine Doku über mich gedreht!" sagt die Rentnerin.

Die Preise sind fast genauso hoch wie in der Stadt: Die Suppe kostet 120 Rubel (3 Rubel), Portion Pelmeni kostet 180 Rubel (4,5 Euro). Alles schmeckt super.

Was habe ich ganz am Anfang der Reise über den Baikalsee gesagt? Nichts Außergewöhnliches? Ich nehme meine Worte zurück. Inzwischen bin ich vom See ganz begeistern. Von seiner Unendlichkeit, Kraft und Magie. Eine Frau aus Irkutsk erzählte mir, dass der See all die negativen Einflüsse der Stadt kompensiert. Das er die Natur und die Menschen in der Region wieder ins Gleichgewicht bringt. Ich glaube es ihr.
An vielen Bäumen rund um den Baikalsee hängen bunte Streifen. Man erzählt uns, dass sie von den Burjaten angebracht sind. Das ist ein hiesiges Volk, das in die Kraft der Natur glaubt.





Die Frau isst Sonnenblumenkerne und schaut auf den vorbeifahrenden Zug. Im Winter fährt er hier nur zwei Mal pro Woche. Es ist eine der wenigen Verbindungen zur Welt da draußen - und ein Highlight für die Einheimischen.

Am Nachmittag ändert sich das Wetter ganz plötztlich. Draußen gibt es Schnee und Wind. Der Baikalsee wird grau. Zuvor am gleichen Tag habe ich ihn tiefblau, dunkelblau, türkis erlebt.

Mit der Errichtung des Tunnels Kirkirei wurde im Jahr 1904 der Bau der legendären fast 10 Tausend Kilometer langen Transsib-Strecke abgeschlossen.





Die Heizung im Zug steht nach wie vor auf volle Pulle. Im Waggon riecht es nach Essen: nach kalten, von zuhause mitgebrachten Frikadellen, gekochten Eiern, eingelegten Gurken. Manche Fahrgäste wärmen sich zusätztlich mit traditionellen russischen Getränken auf. Bei den letzten Stopps steigen sie nicht mal aus, sondern bleiben im Zug. Bald fangen die Omas ein, die alten sibirischen Lieder zu singen. Gleichzeitig beschallt der Fernseher den Waggon. Jemand schnarcht. Ich wickle mich in meinen Schal ein und trinke Tee aus dem Plastikbecher. Der Baikalsee ist immer noch aus dem Fenster zu sehen.

Die Schaffnerin bringt einen Notizblock, in dem man Kritik und Lob schreiben kann. Mein Feedback ist durchaus positiv. Ich habe nur einen Verbesserungsvorschlag: Vielleicht sollte man es nicht erlauben, Alkohol im Zug zu trinken? Ich schreibe es rein, obwohl ich keine enzige Minute daran glaube, dass der Vorschlag jemals umgesetzt wird. Irgendwie ist es auch gut. Denn die Volkslieder der Omas sind quasi der kulturelle Teil des unvergesslichen Ausflugs zum Baikalsee.

Am Bahnhof Sljudjanka - gebaut aus Marmor - endet unsere Reise. Von hier fährt unser Zug zurück nach Irkutsk auf den ganz normalen Schienen.

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